"Es sind grundsätzlich alle für einen Ethikunterricht - es geht dabei nur um die Modalität", konstatierte Eytan Reif, Sprecher der Initiative Religion ist Privatsache. Umso mehr verblüffe es ihn, dass Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) als Hauptargument für dessen Einführung als Ersatzunterricht nur für "Religionsverweigerer" die "Abkehr vom Kaffeehausbesuch" nenne.
Zumindest sei der Minister aber ehrlich. "Er macht klar, wohin die Reise führen soll - zu weniger Abmeldungen vom Religionsunterricht", so Reif. Die Einstellung laute offenbar: "Der Ethikunterricht hat sich dem Religionsunterricht unterzuordnen und hat diesem zu dienen." Dies lehne man ab: "Weder ist Ethik Ersatz für Religion, noch sind sie gleichwertig." Daher stehe man auch dem Plan Faßmanns negativ gegenüber, dass vor allem Religionslehrer mit Zusatzausbildung Ethik unterrichten sollen. "Wir brauchen ein eigenes Lehramtsstudium." Darüber hinaus sollten Religionslehrer nicht in der selben Schule auch Ethik unterrichten dürfen, um Interessenskonflikte zu vermeiden - eine solche Regelung gebe es etwa in Bayern und Baden-Württemberg.
Der Religionspädagoge und Erziehungswissenschafter Anton Bucher (Uni Salzburg), der für das Bildungsministerium bereits vor rund 20 Jahren die derzeit laufenden Schulversuche evaluiert hat, plädierte ebenfalls für Ethik als Pflichtgegenstand - und zwar nicht nur in der Oberstufe. "Mit 15, 16 Jahren sind viele ethische Einstellungen schon habitualisiert und lassen sich kaum mehr ändern."
Im derzeitigen Modell gehe es nicht um grundsätzliche religiöse Bildung, sondern um "partikulare Eigeninteressen" der einzelnen Glaubensgemeinschaften. Mittlerweile gebe es 14 verschiedene Religionsunterrichte in Österreich - bis hin zu Freikirchen: "Ich habe mir dort die Lehrpläne angesehen: Dort ist nirgendwo von Evolution die Rede, sondern nur von biblischer Schöpfungsgeschichte." Als Vorbild könne laut Bucher die Innerschweiz dienen: Dort hätten sich staatliche und Religionsvertreter zusammengesetzt, überlegt, was Schüler über die einzelnen Religionen wissen müssten und einen gemeinsamen Unterricht aufgesetzt. Auch die katholische Kirche müsse davor keine Angst haben, meinte Bucher: "Der faktische Religionsunterricht ist längst nicht mehr so konfessionell, wie es sich viele Bischöfe wünschen würden."
Unser Klubchef, Christoph Wiederkehr, forderte eine Erhebung, wie viele Schüler_innen tatsächlich keinen Religionsunterricht besuchen. Derzeit gebe es dazu kaum Zahlen - klar sei aber, dass diese steigen. "Es ist keine gute Tendenz, wenn eine Minderheit im Regelunterricht ist."
Lena Jäger, Mitinitiatorin des Frauenvolksbegehrens, ortete wachsende Diversität in ganz Österreich. "Die Schule braucht daher einen Raum, wo Kommunikation mit dieser Diversität geübt werden kann. Und Ethikunterricht wäre dafür der perfekte Raum." Das könne aber nur funktionieren, wenn alle an diesem Unterricht teilnehmen. Die Vorsitzende der SP-nahen Aktion kritischer Schüler_innen (AKS), Sara Velic, vermisste wiederum einen Unterricht, der sich auch kritisch mit Religion auseinandersetzt.
Über die Erfolgsaussichten der Forderungen machten sich weder Reif noch Bucher Illusionen. "Es wäre töricht zu glauben, dass unter dieser Regierung Ethik für alle kommt - da kommt eher das Jüngste Gericht", so Reif. Er setzt auf den Faktor Zeit: "Wenn der Religionsunterricht die Ethik blockiert, ist die Zeit gekommen, über die Legitimität des Religionsunterrichts zu sprechen. Auch wenn das nicht morgen sein wird oder übermorgen." Demnächst könnte es eine Beschwerde gegen das derzeitige Modell des Ersatzunterrichts für Religionsverweigerer geben.